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Rede und Antwort

Rede und Antwort

Joan saß mit geschlossenen Augen auf dem Boden seines Zimmers und atmetet die frische Luft ein, die durch die offenen Türen hereinströmte. Er hatte die Türen zum Garten ganz zur Seite geschoben und der Luftzug brachte einen Hauch Chrysanthemenduft mit herein. Über der Gartenmauer mit ihren glasglänzenden Schindeln, erhoben sich in der Ferne die Hügel und reckten sich in die Wolken. Der Schleier des sommerlichen Regens hüllte alle Dinge in weiche Konturen und der rote Ahorn am Weg leuchtete hell und frisch. Joan spürte das Buch auf seinen Knien. Von der Straße drangen nur leise Geräusche herüber und so lag über dem ganzen Garten ein stiller, verzaubernder Schleier. Auf den dunklen Bohlen der Terrasse hatten sich kleine Lachen gebildet, in denen sich jetzt wieder das Sonnenlicht spiegelte. In abertausend blinkenden Blitzen tanzten die Sonnenstrahlen und das trockene Holz sog den feinen Nebel ein. Joan hatte seine Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt, tief in sich fixiert. Langsam floss sein Atem jenem Punkt entgegen und strömte wieder daraus empor. Jedes Mal ein wenig wärmer. Jedes Mal ein wenig intensiver. Dann plötzlich hörte er es und nur wenige Momente später war er hellwach:

 

"Der Weg ist nicht einfach, er ist manchmal sogar gefährlich." hörte er sich sagen, "So mancher, der zu sehr darüber lachte, hat sich in seinen Tücken verfangen und wird lange brauchen, um sich wieder zu befreien. In vieler Hinsicht gleicht der Weg einem Pfad, der von dem Ort, wo wir uns Zuhause fühlen, durch die Wüste führt und in den schwindelerregenden Höhen der Berge verschwindet. Der Anfang ist immer hier und jetzt, doch das Ziel bleibt genauso sicher im Nebel des Geheimnisses verborgen. So, wie eine lange Wanderung durch verschiedene Landschaften auch verschiedene Anforderungen an uns stellt, den Einsatz unterschiedlicher Werkzeuge und Hilfsmittel erfordert, so stellt uns auch der Gang auf dem Weg des Lebens in alle möglichen Situationen, in denen wir richtig und angemessen nach unserem Gewissen handeln müssen. Diese Handlungen sind es, die dann bestimmen, wie sich der Weg und damit unser Leben im nächsten Teilstück gebärden wird und wohin er führt."

 

Joan klappte sein Buch zu, trat einen Schritt vom Pult zurück und schaute in die Runde seiner Zuhörerschaft. Es waren nicht viele. Einige Frauen und Mädchen, ein paar Burschen und alte Männer. Als er so schweigend stand, kam allmählich etwas Bewegung in die kleine Gruppe. Ein Rascheln hier, ein Räuspern dort. Joan sah von einem zum anderen, als ob er sehen wolle was sie denken. "Joan", eine zierliche junge Frau sah ihn an und sagte: "Deine Worte haben mich berührt, doch das was du uns sagst, steht im Gegensatz zu allen alten Lehren unserer Geschichte. Wie können wir dir glauben?".

 

"Du sollst mir nicht glauben!", antwortete Joan, "Du sollst dich auf den Weg machen und ihn gehen, dann wirst du wissen und niemand kann dieses Wissen je wieder erschüttern. Solange du glaubst, was man dir erzählt, wirst du zweifeln, das ist ganz natürlich. Doch wenn du einmal erfahren hast, dann fegt das alle Zweifel beiseite. Bei Gott, das ist nicht leicht, denn du wirst allein gegen all die historischen Überlieferungen stehen. Doch: Du wirst wissen! Den Weg gehen heißt handeln. Handeln im Licht, des in deinem Herzen leuchtenden ewigen Lichtes, denn du bist ein Kind des Lichtes. Ein Kind des ewigen einen Geistes. Das bist du, solange bist du weißt, bis du unzweifelhaft erfahren hast, dass du der ewige eine Geist in seiner Einheit selbst bist, der sich in seiner holografischen Realität wiedererkennt.  Da ist niemand neben dir. Alles bist du, aber natürlich kannst du mir das nicht glauben. Du fragst mich, wie du mir glauben kannst, du willst mit mir diskutieren und du fragst nach Zeichen, nach Beweisen. Doch diese Gespräche führst du mit dir selbst und die Zeichen und Beweise wirst du in dir entdecken, wenn du nur konsequent den Weg weiter gehst.

Niemand außer dir, schaut mit deinen Augen in die Welt. Niemand sieht, fühlt, denkt wie du. Niemand außer dir. Wie könnte ich dir dann Zeichen und Beweise geben, die du nicht anzweifelst? Nein, mein Kind, so einfach ist das nicht, du musst erst dir selbst soweit vertrauen, dass du glaubst gehen zu können, bevor du deinen ersten Schritt machen kannst. Du musst Dir vertrauen, dass du wieder aufstehen kannst, wenn du gefallen bist. Du musst dir vertrauen, dass du mit dem, was du weißt, besser umgehen kannst, als alle Weisen der Welt zusammen. Das ist das Geheimnis. Du musst zu dir selbst stehen, dein Selbstbewusstsein haben. Dann ist es gut und du wirst den Weg vollenden, auch wenn da keine Zeichen mehr sind, denn du brauchst dann keine Beweise mehr, weil du wissen wirst."

Joan schaute die junge Frau direkt an. Seine Augen leuchteten und er fühlte eine starke Kraft von seinem Herzen ausgehen, die sich in die Richtung der Frau bewegte. Plötzlich traten Tränen ihre Augen und ein schmerzlich wissendes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

 

"Joan", diesmal war es eine tiefe Männerstimme, "du hast gesagt, das unser Handeln den weiteren Weg unseres Lebens bestimmt. Ist das nicht das gleiche, wie die Lehre des Karma, die uns die Alten lehrten?". Der Fragende war ein älterer Mann. Joan sah ihn an und musterte ihn lange, bevor er antwortete: "Nun, Nathanael, dies ist eine sehr schwierige Frage und ich weiß nicht, ob ich genügend Verstand besitze darauf zu antworten. Doch ich will es versuchen: "Wir drücken uns durch Handlungen aus. Jede Handlung, die im Augenblick vollzogen wird, ist ganz wir selbst, denn wir sind nicht getrennt von ihr. Ohne uns gäbe es die Handlung nicht und ohne die Handlung, gäbe es uns in diesem Augenblick ebenso wenig, und ohne uns gäbe es den Augenblick gar nicht, in dem die Handlung geschieht. Was ist also Ursache und was Wirkung? Sind wir die Ursache der Handlung oder ist der Augenblick die Ursache. Es gibt nur ein Etwas und das sind wir, in unserer ungeteilten Einheit. Es ist alles ein Geist. Und weil das so ist, kann man nur oberflächlich von Ursache und Wirkung sprechen. Der Geist bewegt sich in einem Meer von Möglichkeiten und diejenigen Möglichkeiten, die ihm gefallen werden manifest. Es ist nicht einmal so, dass der Geist etwas manifestiert. Nein, indem er etwas auswählt, ist es auch schon da. So lernt der Geist und leider spinnt er sich dadurch ein Netz, indem er sich selbst fängt und dann zu glauben beginnt, dass es etwas neben ihm gibt. Etwas, auf das er keinen Einfluss hat. Er wird so zum Spielball, der von ihm erschaffenen Objekte und beginnt darüber zu philosophieren. Er beginnt die Wirkung der Objekte aufeinander zu studieren und entfernt sich dabei immer mehr von seiner tatsächlichen Wahrheit. Das Karma Gesetz ist ein typisches Produkt dieser Studien. Nicht alles, was der eine Geist schafft, gefällt ihm auch und je mehr er sich mit sich selbst entzweit, desto mehr entwickelt er eine Ethik, mit der er sein eigenes Verhalten in dieser Objektwelt misst. Alle Abweichungen von dieser Ethik betrachtet er als schlecht, alles andere als gut. So entsteht ein Wertesystem. Indem er glaubt, dass alle schlechten Handlungen durch gute aufgewogen werden müssen, bildet sich ein ewiger Kreislauf, der ihn antreibt, seiner eigenen Ethik gerecht zu werden. Glücklicherweise dauert dieser Vorgang nur solange, bis der Geist erkennt, wer, was und wo er ist.

In diesem kurzen Erkenntnisaugenblick erlischt das sogenannte Karma, denn es existierte ja nur in der Vorstellungswelt des Geistes. Unsere Handlungen sind demzufolge Handlungen des einen Geistes, also Wirkung und Ursache in einem. Das Karma Gesetz kann nur einen unvollständigen Ausschnitt beschreiben, denn es basiert auf der dualen Denkweise des Menschen. Deshalb müssen wir uns darüber klar werden, dass jede Handlung aus uns heraus und in uns hinein existiert. Die Handlung existiert, und wir füllen sie aus, wie das Wasser eine Vase. Damit formen wir uns aber auch in diese Handlung hinein und die Handlung kann sich selbst verformen. Da ist kein Ablauf in der Zeit, erst so dann so - Es ist alles zugleich. Wo ist dann Ursache und wo Wirkung? Der eine Geist ist immer im Jetzt und wirkt im Jetzt. Die Handlung wächst aus sich heraus und ist ihre eigene Ursache. Unser Tun bestimmt unmittelbar und unfehlbar, was unser Leben ist. Je mehr wir erkennen, dass wir der eine Geist selbst sind, desto einfacher können wir dieses Spiel durchschauen."

 

Ein Blitz, gefolgt von heftigem Schmerz durchfuhr Joan als er vornüber mit dem Kopf auf den harten Zimmerboden schlug. Von der Straße drangen noch immer leise Geräusche herüber und im Garten verdampften die Regentropfen in der herabstrahlenden Sonne. "Verdammt, ich bin eingeschlafen" fluchte Joan und richtete sich mit Hilfe der Arme wieder auf. Das Buch rutschte von seinen Knien.

"Da muss ich aber noch viel üben", dachte er bei sich. Er stand auf und sah auf die Uhr. In wenigen Augenblicken begann seine Vorlesung "Spiritualität für Quantenphysiker". Wer sich nur so einen dämlichen Titel ausgedacht hatte. Joan grinste und verlies kopfschüttelnd den Meditationsraum und folgte dem mit Neonröhren beleuchteten Gang zum Hörsaal.

 

alles liebe

Hans